Berlin, 13.09.2022 - Wenn die Europäische Kommission im Herbst dieses Jahres ihre Reformvorschläge für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vorstellen wird, sollte nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) der Schuldenabbau im Mittelpunkt stehen. „Die anhaltend hohen Schuldenstände stellen eine Gefahr für den langfristigen Erfolg des Euro dar“, warnt BVR-Vorstand Dr. Andreas Martin.
Bislang hätten die Fiskalregeln nicht den Aufwärtstrend der Schuldenquoten umkehren können. Daher müsste der Stabilitäts- und Wachstumspakt deutlich wirkungsvoller werden. Dr. Martin weiter: "Die Einhaltung der mittelfristigen Haushaltsziele sollte Priorität haben. Sie geben länderspezifische Schritte in Richtung Haushaltsausgleich vor. Bei entsprechendem Wirtschaftswachstum lässt ihre konsequente Einhaltung dann die Schuldenquoten quasi automatisch sinken."
Damit die Haushaltsziele besser eingehalten werden, müsse das gesamte Regelwerk einfacher und verbindlicher werden. Hierzu sollten viele der Ausnahmeregelungen gestrichen werden. Die Beurteilung der Haushaltslage sollte zudem zukünftig nicht von der Europäischen Kommission, sondern von einer unabhängigen Behörde wie beispielsweise dem europäischen Rettungsschirm ESM vorbereitet werden. Die Einrichtung einer europäischen Fiskalkapazität zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen und dem Ausgleich von Konjunkturzyklen in einzelnen Mitgliedsstaaten, wie sie zuletzt der Internationale Währungsfonds vorgeschlagen hat, sei hingegen abzulehnen. Sie würde die Verschuldung der Gemeinschaft weiter erhöhen, ohne die Widerstandskraft der Volkswirtschaften nennenswert zu verbessern.
Die Reform sei auch wichtig, weil die anhaltend hohen Schuldenstände die Handlungsfähigkeit der Geldpolitik einschränken. Bei hohen Renditedifferenzen zwischen hochverschuldeten Staaten im Vergleich zu Staaten mit moderaten Schulden wie etwa Deutschland wirkt die Geldpolitik nicht einheitlich. Um dies verhindern zu können, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli das neue Anleihekaufprogramm TPI (Transmission Protection Instrument) beschlossen, mit dem die EZB Anleihen hochverschuldeter Staaten ankaufen kann. Das TPI sei jedoch eine schwierige Gratwanderung, so der BVR.
Die EZB müsse unter dem TPI schwierige Entscheidungen über die Tragfähigkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik von Mitgliedsstaaten treffen. Dies würde ihre Entscheidungen noch politischer machen und könnte letztlich ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Auch würde zusätzlicher Druck entstehen, bereits im Vorfeld auf die Feststellung übermäßiger Defizite im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu verzichten, um den betroffenen Staaten den Zugang zu den EZB-Mitteln nicht zu verschließen.